- Ökosystem: Struktur der Nahrungsbeziehungen
- Ökosystem: Struktur der NahrungsbeziehungenIn einem Ökosystem stehen die Organismen hinsichtlich ihrer Versorgung mit Nährstoffen in einem engen Abhängigkeitsverhältnis zueinander. Mineralstoffe werden von Pflanzen, Tieren, Pilzen und Bakterien gleichermaßen für Stoffwechsel und Aufbau körpereigener Stoffe benötigt, doch die Energiezufuhr erfolgt, von seltenen Ausnahmen abgesehen, über eine Fixierung von Sonnenenergie in geeigneten organischen Stoffen. Da nur photosynthetisch tätige Lebewesen Sonnenenergie binden können, hängt die Energieversorgung der Ökosysteme in aller Regel von diesen Organismen, meist Pflanzen, ab, die man als autotroph bezeichnet. Nahrung ist sowohl Baustoff als auch Energiedepot. Beides muss, auch über lange Zeiträume hinweg, in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen. Die wichtigste von den Lebewesen nutzbare Energie stammt von der Sonne. Diese Energiequelle stellt auch in geologischen Zeiträumen eine Konstante dar — sie ist eine unerschöpfliche Ressource.Der Vorrat an Mineralstoffen in Ökosystemen ist begrenztDoch wie steht es mit den Baustoffen? Lediglich eine äußerst dünne Schicht der Erdoberfläche kann den Lebewesen die von ihnen beanspruchten Mineralstoffe bieten. Dazu kommen die Lufthülle und das Wasser als Spender für Sauerstoff (O2) und für Kohlenstoff in Form von Kohlendioxid (CO2) in der Luft, beziehungsweise Bicarbonat (Hydrogencarbonat, HCO3-) im Wasser. Die meist nur bis in einige Zentimeter Tiefe nutzbare Erdhülle stellt zweifellos einen begrenzenden Faktor für die langfristige Mineralstoffversorgung der Lebewesen dar. Dieser Nährstofffaktor bedarf also der Erneuerung oder Rezyklisierung, wenn die Organismen über Hunderte von Millionen Jahren hinweg stets genügend Mineralstoffe zu ihrem Aufbau vorfinden sollen. Ökosysteme müssen deshalb so angelegt sein, dass unter der stets vorhandenen Sonnenenergie der begrenzte Mineralstoffvorrat der äußersten Erdkruste zwar zunächst in die gerade lebenden Organismen eingebaut, nach deren Tod jedoch für die Nachkommen wieder verfügbar gemacht wird.Dieses seit langer Zeit fest eingespielte System funktioniert nur deshalb, weil sich sonnengetriebene Nahrungsketten gebildet haben, an deren Ende eine Rezyklisierung (ein »Recycling«) der Mineralstoffe durch mikrobielles Zerlegen der organischen Bestandteile der Lebewesen steht. Der Treibstoff dieses Systems, die Sonnenenergie, verlässt diesen Kreislauf Schritt für Schritt in Form von Wärme, sodass eine energetische Überladung des Systems vermieden wird. Derartige Kreislaufsysteme funktionieren folgendermaßen: Autotrophe, das heißt zur Photosynthese befähigte Pflanzen und Mikroorganismen, bilden aus Kohlendioxid und Wasser mithilfe von Sonnenenergie Zucker. Chemisch gesehen handelt es sich dabei um eine Energie verbrauchende Reduktion des Kohlenstoffs. Die zur Reduktion verbrauchte Sonnenenergie kann bei der Rückführung in die stärker oxidierte Kohlenstoffverbindung Kohlendioxid wieder freigesetzt werden, was bei der Atmung geschieht. Die Funktion des Kohlenstoffs lässt sich hier am besten mit einem Akkumulator vergleichen: Die Reduktion des Kohlenstoffs bedeutet die Beladung des Akkumulators Kohlenstoff mit Energie. Einem solchen energiereichen Zustand des Kohlenstoffs begegnet man im Traubenzucker ebenso wie im Erdöl, nur mit dem Unterschied, dass die sauerstoffärmeren (in der Regel sogar sauerstofffreien) Erdölmoleküle einen noch höheren Energiebetrag gespeichert haben als das sauerstoffreichere Traubenzuckermolekül.Da der Traubenzucker (Glucose) und die daraus aufgebaute Stärke rein mengenmäßig die wichtigsten energiereichen Verbindungen darstellen, die aus der Photosynthese hervorgehen, haben sich die Lebewesen darauf eingestellt, in den meisten Fällen diese Stoffe als Energieträger zu nutzen. Vom Grundgerüst des Traubenzuckers ausgehend, können die autotrophen Organismen, die auch als Produzenten bezeichnet werden, alle anderen benötigten organischen Stoffe bilden. Dabei werden verschiedene Mineralstoffe, wie Nitrate, Sulfate und Phosphate, meist nach vorhergehender chemischer Umwandlung, in die Kohlenhydratketten eingebaut. Dadurch entsteht schließlich die große Vielfalt organischer Verbindungen, die man von den Lebewesen kennt.Konsumenten verwerten die von den Produzenten gebundene EnergieVon dem reichen Stoffangebot der autotrophen Organismen, der Produzenten, ernähren sich heterotrophe Organismen, die Konsumenten. Diese gliedert man in der Regel in mehrere Ordnungen: Ernährt sich ein heterotropher Organismus direkt von den Pflanzen, spricht man von Pflanzenfressern oder Konsumenten erster Ordnung. Diejenigen Konsumenten, denen die Pflanzenfresser als Nahrung dienen, heißen Räuber oder Konsumenten zweiter Ordnung. Vertilgt ein Raubtier nicht Pflanzenfresser, wie etwa der Löwe die Antilope, sondern erbeutet es Tiere, die ihrerseits räuberisch leben, dann spricht man von Konsumenten dritter Ordnung. So ist beispielsweise ein Vogel, der eine Spinne fängt, ein Konsument dritter Ordnung — die Spinne lebt ja ihrerseits von Fliegen. Analog kann man die Liste der Ordnungen fortsetzen. In einem Ökosystem bilden sich also regelrechte Nahrungs- oder Fressketten aus, in denen die von den autotrophen Organismen fixierte Sonnenenergie weitergegeben wird.Der primär von den Produzenten fixierte Energiebetrag nimmt jedoch von Stufe zu Stufe innerhalb einer Nahrungskette ab, denn der Umbau der Nahrung zu körpereigenen Stoffen, die Bewegungsvorgänge, die Aufrechterhaltung der Körpertemperatur und andere Lebensvorgänge verschlingen einen beträchtlichen Anteil der mit der Nahrung aufgenommenen Energie. Man muss deshalb davon ausgehen, dass von Stufe zu Stufe der Nahrungskette jeweils etwa 90 Prozent der Energie, die mit der Nahrung aufgenommen wird, das Ökosystem in Form von Verlustwärme verlassen. Damit muss notwendigerweise auch die Gesamtbiomasse der Konsumenten zweiter Ordnung in entsprechendem Umfang abnehmen und demzufolge auch deren Populationsgröße. In einer solchen Nahrungskette können höchstens bis zu vier oder fünf Glieder hintereinander geschaltet sein. Schließlich ist die von den Produzenten gebundene Sonnenenergie so weit aufgebraucht, dass keine weitere Konsumentenpopulation mehr unterhalten werden kann. Die Endglieder von Nahrungsketten können demnach nur kleine Populationen bilden, wie beispielsweise die Fischadler. Um die Abnahme der Biomasse und damit der fixierten Sonnenenergie in einer Nahrungskette bildlich darzustellen, bedient man sich häufig einer Pyramidenform, in der die Produzenten die breite Basis bilden und die Endglieder die schlanke Spitze.Die Destruenten liefern die Ausgangsstoffe für einen neuen KreislaufIn einem Ökosystem werden jedoch nicht alle Pflanzen von Tieren gefressen und nicht alle Tiere fallen einem Räuber zum Opfer. Viele Organismen sterben an Altersschwäche oder infolge von Krankheiten. Sowohl die Leichen als auch die Fäkalien der Tiere und das abgestorbene Laub der Bäume stellen ein letztes Reservoir an energiereichen organischen Verbindungen dar. Diese als Detritus bezeichneten organischen Reststoffe — ob Leichen, Kot oder abgestorbenes Laub — dienen schließlich Pilzen, Bakterien und anderen Bodenlebewesen, den Destruenten oder Reduzenten, als Nahrung, die sie zu Kohlendioxid, Wasser und Mineralstoffen abbauen. Die organischen Reststoffe setzen damit nochmals eine ganze Nahrungskette in Gang, die Detritus-Nahrungskette.Alle diese Verbindungen stehen nun erneut den Produzenten, also den Pflanzen, als Nährstoffe zur Verfügung. Die ehemals in den organischen Stoffen gebundene Sonnenenergie hat dabei vollständig die Nahrungskette verlassen. So kann der gleiche Kreislauf immer wieder von neuem beginnen, ohne dass das System dabei mit Energie überladen wird. Man bezeichnet ein solches System als offenes System. Unterliegen die von den Pflanzen hergestellten organischen Stoffe in Ausnahmefällen nicht einem vollständigen Abbau, dann werden sie in Form von abiotischen Umwandlungsprozessen als Torf, Kohle, Erdöl oder Erdgas im Boden deponiert und damit ebenfalls aus dem Kreislauf ausgeschieden. Da der Abbau organischer Reststoffe in Abhängigkeit von der herrschenden Temperatur unterschiedlich rasch verläuft, wird dieser Kreislauf in warmen Klimazonen schneller vollendet als in kalten Klimazonen.NahrungskettenDer skizzierte Aufbau von Nahrungsketten bedarf noch einiger Korrekturen: In der Natur gibt es keine völlig isolierten, geradlinig verlaufenden Nahrungsketten, vielmehr sind in der Regel mehrere Nahrungsketten miteinander vernetzt, sodass kompliziert zusammengesetzte Nahrungssysteme entstehen. Die Stellung der einzelnen Glieder einer Nahrungskette ist nicht immer eindeutig festgelegt. Beispielsweise ernähren sich Allesfresser (Omnivoren) wie der Mensch von Pflanzen und Tieren. Besteht die Nahrung eines Menschen zu 80 Prozent aus Pflanzen und zu 20 Prozent aus tierischen Produkten, dann verhält er sich zu 80 Prozent als Konsument erster Ordnung und zu 20 Prozent als Konsument zweiter, dritter oder vierter Ordnung — je nachdem, welche Tiere auf dem Speiseplan stehen (zum Beispiel Rindfleisch, Hecht oder Haifisch). Da Allesfresser meist ihre diversen Nahrungsbestandteile variieren, sind sie somit in der Lage, ihre Stellung in der Nahrungskette zu verschieben, was zumindest bei Nahrungsmangel für den Erhalt der Art von größter Bedeutung ist. Beispielsweise kann sich der Mensch so ernähren, dass er weitgehend einem Konsumenten erster Ordnung entspricht, er ist dann Vegetarier. Er kann jedoch auch überwiegend auf Fisch und Fleisch ausweichen und sich damit wie ein Konsument zweiter und dritter Ordnung verhalten; dies ist beispielsweise charakteristisch für die Ernährungsweise der Eskimos.Eine ganz andere Bedeutung haben Nahrungsketten in neuerer Zeit erlangt, weil in ihnen Umweltgifte, sofern die Lebewesen sie nicht sofort abbauen oder ausscheiden, weitergegeben werden und sich bei den Endgliedern der Nahrungsketten gegebenenfalls zu toxisch wirkenden Konzentrationen anreichern können. Man spricht von einer Bioakkumulation.Prof. Dr. Günter Fellenberg, WolfsburgWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Stoffkreisläufe und NährstoffhaushaltGrundlegende Informationen finden Sie unter:Ökologie: Nahrungsbeziehungen zwischen den ArtenBegon, Michael, u. a.: Ökologie. Aus dem Englischen. Neuausgabe Heidelberg u. a. 1998.Klötzli, Frank: Ökosysteme. Aufbau, Funktionen, Störungen. Stuttgart u. a. 31993.Lovelock, James: Gaia. Die Erde ist ein Lebewesen. Anatomie und Physiologie des Organismus Erde. Aus dem Englischen. Taschenbuchausgabe München 1996.Mit der Erde leben. Beiträge geologischer Dienste zur Daseinsvorsorge und nachhaltigen Entwicklung, herausgegeben von Friedrich-Wilhelm Wellmer u. a. Berlin u. a. 1999.Natur- und Umweltschutz. Ökologische Grundlagen, Methoden, Umsetzung, herausgegeben von Lore Steubing u. a. Jena u. a. 1995.Odum, Eugene P.: Ökologie. Grundlagen, Standorte, Anwendung. Aus dem Englischen. Stuttgart u. a. 31999.Odum, Eugene P. / Reichholf, Josef: Ökologie. Grundbegriffe, Verknüpfungen, Perspektiven. Brücke zwischen den Natur- und Sozialwissenschaften. Aus dem Englischen. München u. a. 41980.Osteroth, Dieter: Biomasse. Rückkehr zum ökologischen Gleichgewicht. Berlin u. a. 1992.Schaefer, Matthias: Ökologie. Jena 31992.Das Überlebensprinzip. Ökologie und Evolution, bearbeitet von Hinrich Bäsemann u. a. Hamburg 1992.
Universal-Lexikon. 2012.